Letzte Stunde zu Leben
Ich mache jetzt so dieses Blog-Ding, weil viele ja gefragt haben: Wer bist du eigentlich?
Die Leute heutzutage sind nicht so biblisch-informiert wie früher. Bis vor... sagen wir 100 Jahren... kannten alle die Hure von Babylon. Weil damals fast jeder noch Bibel lesen konnte. Zumindest im westlichen Europa.
Also ja, wir haben bei der Promo uns etwas mehr Reichweite erhofft. Aber naja.
Ja, also… wer ich bin.
„Hure von Babylon“ ist natürlich nicht mein Geburtsname. Den hat mir ein Mann namens Johannes gegeben, vor ungefähr 2000 Jahren. Wir hatten mal was… etwas, das ihm wohl mehr bedeutete als mir. Und dann hat er mich und Benni in seinem wütenden Trip namens „Offenbarung des Johannes“ verewigt. Er hat uns verraten. Und der Rest der Welt hat’s geglaubt.
Aber als ich Johannes traf, war ich schon über 500 Jahre alt.
Geboren wurde ich in Babylon, am Euphrat. Mein Name war Enheduanna – „Schmuck des Himmels“. Meine Mutter formte Opfergaben aus Lehm, mein Vater schrieb Gebete auf Tontafeln. Ich konnte lesen, bevor ich bluten konnte. Und streiten sowieso.
Mit 13 kam meine erste Blutung – an Akitu, dem babylonischen Neujahrsfest. Die Priester sagten, in dieser Zeit könne man die Götter hören, wenn man bereit sei. Ich war bereit. Ich brachte ein Opfer in den Tempel der Ishtar – meine kleine Lehmstatue eines siebenköpfigen Drachens. Benni. Mein einziger Freund.
Dort, im Innersten des Tempels, kniete ich nieder – und die Göttin sprach. Oder eher: Sie durchfuhr mich. Eine Kraft, ein Rausch, eine Ewigkeit in einem Atemzug. Danach war ich nicht mehr dieselbe. Ich alterte nicht. Ich sah, wie meine Familie starb. Ich sah Reiche fallen. Ich sah Benni lebendig werden.
Seitdem gehe ich durch die Jahrtausende. Ich war Hohepriesterin, Philosophin, Hure, Hebamme, Hexe. Ich wurde geliebt, gefürchtet, verbrannt. Und immer wieder auferstanden.
Ich sah Babylon brennen. Ich saß bei den Griechen in Theatern. Ich heilte römische Senatoren mit Kräutern und floh vor christlichen Fanatikern. Ich kannte Jesus. Ja, wirklich. Süß, aber naiv.
Ich war Nonne im Mittelalter. Ich wurde als Hexe verbrannt. Ich verbrachte Jahrhunderte in Höhlen, nährte mich von Kräutern und Geschichten. Und ich kam immer wieder zurück.
1927 – Berlin. Pergamonmuseum. Das Ishtar-Tor. Da war es wieder: mein altes Zuhause. In blauen Steinen rekonstruiert. Ein alter Geist in neuem Beton. Ich wusste: Die Zeit war gekommen, zu sprechen.
Und hier bin ich. Wieder mal.